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Arbeitsunfähigkeit: Was Arbeitnehmer wissen müssen bei Lohnzurückhaltung und bestrittenem Attest

| Joshua Mauritz, LL.M. | Arbeitsrecht

Arbeitsunfähigkeit: Was Arbeitnehmer wissen müssen bei Lohnzurückhaltung und bestrittenem Attest

Wenn der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung verweigert, weil er die Krankschreibung anzweifelt, ist das für Beschäftigte nicht nur finanziell, sondern auch rechtlich eine heikle Situation. Dieser Beitrag erklärt, wann der Arbeitgeber den Lohn zurückhalten darf – und wie Arbeitnehmer ihre Ansprüche erfolgreich durchsetzen können.

Arbeitgeber dürfen die Entgeltfortzahlung nur verweigern, wenn begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestehen. Der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist hoch – Arbeitnehmer können sich hierauf grundsätzlich verlassen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Gesetzliche Grundlage: §§ 3, 5, 7 EFZG
  • Beweiswert: Ein ärztliches Attest begründet einen Anscheinsbeweis für die Arbeitsunfähigkeit.
  • Erschütterung: Arbeitgeber müssen konkrete Tatsachen vortragen, die Zweifel begründen (§ 138 ZPO).
  • Zurückbehaltungsrecht: Nur zulässig bei pflichtwidrigem Verhalten des Arbeitnehmers (§ 7 EFZG).
  • Praxis-Tipp: Arbeitnehmer sollten Beweise sichern und ärztliche Schweigepflichtsentbindungen vorbereiten.

Inhaltsverzeichnis

  1. Ausgangslage: Wenn der Arbeitgeber die Krankschreibung nicht akzeptiert
  2. Rechtliche Bewertung: Beweiswert und Grenzen des Attests
  3. Handlungsempfehlungen für Arbeitnehmer
  4. Expertentipp von Joshua Mauritz, LL.M.
  5. Fazit: Wie Sie Ihren Lohn sichern

Ausgangslage: Wenn der Arbeitgeber die Krankschreibung nicht akzeptiert

In der Praxis kommt es häufig vor, dass Arbeitgeber den Lohn nicht fortzahlen, weil sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für „zweifelhaft“ halten – etwa nach einer Kündigung, bei häufigen Kurzerkrankungen oder bei vermeintlich verdächtigen Zeiträumen („Krank nach Abmahnung“).
Für Arbeitnehmer stellt dies eine existenzielle Belastung dar. Sie müssen nun nachweisen, dass tatsächlich Arbeitsunfähigkeit bestand – obwohl sie in der Regel ärztlich attestiert ist.

Rechtliche Bewertung: Beweiswert und Grenzen des Attests

Nach § 3 Abs. 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn er infolge Krankheit arbeitsunfähig ist.
Der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ein hoher Beweiswert zu:
Sie ist eine Privaturkunde i.S.v. § 416 ZPO und begründet den Beweis des ersten Anscheins für das Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit.

Erschütterung des Beweiswerts

Der Arbeitgeber kann diesen Anscheinsbeweis nur erschüttern, wenn ernsthafte Zweifel bestehen.
Solche Zweifel müssen konkrete Tatsachen stützen – etwa:

  • Rückdatierungen des Attests um mehr als drei Tage,
  • Auffällige Koinzidenz zwischen Krankschreibung und Kündigung oder Abmahnung,
  • Hinweise auf Gefälligkeitsatteste,
  • Verhalten des Arbeitnehmers, das der Arbeitsunfähigkeit widerspricht (z. B. belastende Freizeitaktivitäten).

Bloße Vermutungen oder „Misstrauen“ reichen nicht aus.

Folgen der Erschütterung

Gelingt dem Arbeitgeber, den Beweiswert zu erschüttern, muss der Arbeitnehmer den vollen Beweis seiner Arbeitsunfähigkeit führen.
Das geschieht in der Praxis häufig durch die Vernehmung des behandelnden Arztes als Zeugen, wofür der Arbeitnehmer die Schweigepflichtentbindung erteilen muss.

Handlungsempfehlungen für Arbeitnehmer

  1. Attest fristgerecht vorlegen: Nach § 5 EFZG spätestens am vierten Kalendertag; früher, wenn der Arbeitgeber dies verlangt.
  2. Elektronische AU (eAU): Gesetzlich Krankenversicherte müssen seit 2023 keine Papierbescheinigung mehr an den Arbeitgeber senden – dieser ruft die eAU bei der Krankenkasse ab.
  3. Zweifel an der AU: Reagieren Sie sofort schriftlich, wenn der Arbeitgeber die Zahlung einstellt, und fordern Sie unter Fristsetzung die Lohnfortzahlung.
  4. Medizinischen Dienst einschalten: Auf Antrag kann die Krankenkasse den Medizinischen Dienst zur Überprüfung beauftragen (§ 275 Abs. 1a SGB V).
  5. Beweise sichern: Dokumentieren Sie Arztbesuche, Diagnosen, Kommunikation mit dem Arbeitgeber und Krankenkasse.

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Expertentipp von Joshua Mauritz, LL.M.

Ich rate Arbeitnehmern:
Entbinden Sie Ihren Arzt von der Schweigepflicht, wenn Ihr Arbeitgeber den Beweiswert des Attests erschüttert hat.
Das wirkt oft schon prozessvermeidend – denn viele Arbeitgeber ziehen ihre Zweifel zurück, sobald klar ist, dass der behandelnde Arzt im Streitfall aussagen wird.

Außerdem lässt sich in solchen Fällen häufig eine Abfindung oder Nachzahlung durch geschickte Verhandlungsführung erzielen – insbesondere, wenn der Arbeitgeber zugleich eine Kündigung ausgesprochen hat.

Fazit

Wer krank ist, hat Anspruch auf Lohnfortzahlung – das ist gesetzlich abgesichert.
Der Arbeitgeber darf die Zahlung nur bei konkreten und nachweisbaren Zweifeln verweigern.
Arbeitnehmer sollten ihre Rechte kennen, Nachweise sichern und notfalls anwaltliche Unterstützung suchen.